Algorithmen, Daten und Menschen – Widerspruch oder Chance?

V.l.: DI Christian Federspiel (Geschäftsführer Catalysts GmbH), FH-Prof.in DIin Dr.in Margarethe Überwimmer (stv. Vorsitzende RFT OÖ, Studiengangsleiterin Global Sales and Marketing an der Fachhochschule OÖ), DI (FH) Stephan Kubinger, MBA (Vorsitzender des RFT OÖ), Dr.in Janina Loh (Institut für Philosophie, Bereich Technik- und Medienphilosophie, Universität Wien), em. o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber (Österreichischer Historiker, ehemaliger Leiter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz), Ing. Gerfried Stocker (Künstlerischer Leiter Ars Electronica Center Linz) © Business Upper Austria
V.l.: DI Christian Federspiel (Geschäftsführer Catalysts GmbH), FH-Prof.in DIin Dr.in Margarethe Überwimmer (stv. Vorsitzende RFT OÖ, Studiengangsleiterin Global Sales and Marketing an der Fachhochschule OÖ), DI (FH) Stephan Kubinger, MBA (Vorsitzender des RFT OÖ), Dr.in Janina Loh (Institut für Philosophie, Bereich Technik- und Medienphilosophie, Universität Wien), em. o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber (Österreichischer Historiker, ehemaliger Leiter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz), Ing. Gerfried Stocker (Künstlerischer Leiter Ars Electronica Center Linz) © Business Upper Austria

08.01.2020

Wir können uns vor der Digitalisierung, vor Künstlicher Intelligenz und Datenmissbrauch fürchten oder den technologischen Fortschritt unter Einsetzung eines gewissen Kontroll- und Reglementierungssystems zu unserem Vorteil nutzen. Mit diesem Spannungsfeld zwischen Humanismus und Digitalisierung beschäftigte sich der Themenabend „Digitaler Humanismus“ des Rats für Forschung und Technologie für Oberösterreich (RFT) am 2. Dezember im Linzer Ars Electronica Center (AEC).

Das Kamingespräch ging der Frage nach, ob Algorithmen, Daten und Menschen zueinander im Widerspruch stehen oder ob dieses Spannungsfeld eine Chance für Forschung und Innovationen darstellt. Auf dem prominent besetzten Podium waren naturgemäß kontroversielle Standpunkte vertreten, die Expertinnen und Experten waren sich in manchen Punkten aber auch einig.


Algorithmen und Konformität

DI Christian Federspiel, Geschäftsführer des Softwareentwicklers Catalysts GmbH, rief in Erinnerung, wieviel Nützliches die Digitalisierung dem Menschen bereits beschert hat. Autonomes Fahren macht den Straßenverkehr sicherer und sorgt für weniger CO2-Ausstoß. Algorithmen können bereits Fotos von Gewebeproben analysieren und den Ärztinnen und Ärzten einen Teil der Arbeit abnehmen. „Wegen der überlasteten Gerichte gibt es in den USA erste Versuche mit Algorithmen, die vorschlagen, ob jemand schuldig oder unschuldig ist“, erzählte Federspiel. Das für ihn Beunruhigende dahinter ist, dass diese Algorithmen uns Menschen wie Bücher in einem Onlineshop behandeln („Leute, die dieses Buch gekauft haben, haben auch dieses Buch gekauft.“). „Algorithmen sprechen uns Menschen die Individualität ab, behandeln uns wie ein Buch, berücksichtigen nicht, dass wir uns in einer gewissen Situation ändern können“, betonte der Experte. Seiner Meinung nach sollte diese Problematik in der Gesellschaft diskutiert werden.


Positives und Albtraum zugleich

Ing. Gerfried Stocker, Künstlerischer Leiter im AEC, hob hervor, dass es wir Menschen seien, die die Technologie entwickeln und etwas damit machen: „Wir müssen aufhören, immer über DIE Technologie zu reden – es sind wir Menschen, die mit der KI in der Lage sind, Autos fahren zu lassen oder Krebsdiagnosen effizienter zu erstellen.“ Das Dilemma veranschaulichte Stocker mit seinem Lieblingsbeispiel: Seiner Meinung nach gibt es nichts Besseres, als den digitalen Zwilling, der auf Knopfdruck alle gesundheitlich relevanten Informationen über mich liefert. Gleichzeitig ist es der größte Albtraum, dass die Krankenversicherung mit diesen Daten auch meine Beiträge erhöhen könnte.


Der Mensch als Datensammlung

Technik- und Medienphilosophin Dr.in Janina Loh von der Universität Wien meinte, dass wir im Zusammenhang mit der Digitalisierung keine neue Ethik bräuchten, da wir mit unseren Werten vollends ausgelastet seien. Sie gab hingegen zu bedenken, dass einem Avatar, wie ihn Stocker beschrieb, ein Menschenbild zugrunde liege, das meint, dass man die menschliche Persönlichkeit mit Daten abbilden könne. „Die Auffassung, dass man die Persönlichkeit eines Menschen mit Technologien oder Apps beschreiben kann, ist gefährlich, weil man den Menschen auf eine Sammlung von Daten reduziert, die durch Dritte kontrolliert werden kann“, sagte Loh.


Neues Humanismus-Modell gefragt

Für den Historiker Dr. Roman Sandgruber ist klar: „Mit der ungeheuren Geschwindigkeit der digitalen Revolution kann der Mensch wahrscheinlich nicht mithalten. Wir brauchen daher einen dritten Humanismus, der uns zeigt, wie wir mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen sollen, von denen wir vor zehn Jahren noch keine Ahnung hatten. Wir müssen ein Modell der Digitalisierung mit einer humanistischen Komponente entwickeln.“ Der Versuch, sich gegen den Fortschritt stemmen zu wollen, sei in der Geschichte immer misslungen. Oberösterreich sollte einen Beitrag dazu leisten, die menschliche Freiheit in der Digitalisierung zu leisten.


Vertrauen als Voraussetzung für Erfolg

DIin Dr.in Margarethe Überwimmer, stv. Vorsitzende des RFT OÖ und Studiengangsleiterin Global Sales and Marketing an der FH OÖ, sieht im maschinellen Lernen und im Data Mining großen Nutzen für Unternehmen und Industrie, denn es können Marktchancen und Markterfolge durch mehr Wissen und durch neue Businessmodelle erhöht werden. Aber auch Kunden profitieren ihrer Meinung nach, weil sie besser serviciert werden können. Hier hakte Christian Federspiel ein und wies darauf hin, dass nur diejenigen Geschäftsmodelle in der Zukunft Erfolg haben werden, in die die Menschen Vertrauen haben: „Das ist auch das, was unser Beitrag sein kann: Algorithmen zu entwickeln, die überprüfen, ob Künstliche Intelligenz unser Verständnis von Ethik und DSGVO einhalten.“ Margarethe Überwimmer ergänzt: „Es ist wichtig, dass wir uns in einem ethischen Diskurs bewusst damit Auseinandersetzen, welche Entwicklung gut ist und was wir ablehnen.“


Wirtschaftliche Revolution

AEC-Leiter Gerfried Stocker ergänzte, dass es Vertrauensregeln brauche, wenn wir wollen, dass digitale Ökonomie dauerhaft funktioniert. Außerdem relativierte er die Geschwindigkeit des digitalen Wandels: „Für die meisten Menschen hat es sich wirklich so dargestellt, als wäre die digitale Revolution die letzten zehn Jahre passiert. Was wirklich passiert ist, ist eine wirtschaftliche Revolution. Die wahre Disruption ist nicht die Technologie, sondern das neue Businessmodell der Monetarisierung von Aufmerksamkeit.“